Der diesjährige 69. Jahreskongress von VDFG und FAFA in Nantes vom 17.-19. Oktober stand unter dem Motto: „Les relations entre la France et l’Allemagne – Tous Acteurs“ oder „Die deutsch-französischen Beziehungen – Gemeinsam. Für alle.“ Man könnte auch sagen: „Eine Aufgabe für alle“. Denn dies kam in den vielfältigen Diskussionen während der Kongressveranstaltungen zum Ausdruck: Ohne unser zivilgesellschaftiches Engagement wären die Beziehungen zwischen unseren Ländern nicht so eng und vielfältig, wie sie es sind. Und so lautet die Botschaft, die von diesem Kongress ausgeht: Deshalb bleibt es unser aller Aufgabe, gerade in politisch schwierigen Zeiten, die Stimme der Zivilgesellschaft laut und deutlich zu erheben, wann immer und wo immer dies möglich ist.
FAFA-Präsident Jean-Michel Prats eröffnete den Kongress am Freitagnachmittag mit den Worten, dass die Zukunft in unseren Beziehungen von denjenigen geprägt würden, die die deutsch-französische Freundschaft jeden Tag mit Leben erfüllten. Und unsere neu gewählte VDFG-Vizepräsidentin Sylvaine Mody, die unseren kurzfristig verhinderten Präsidenten Jochen Hake vertrat, fügte hinzu: „Ohne unser Engagement gäbe es die Bewegung zur Versöhnung zwischen unseren Völkern nicht so, wie es sie gibt.“ Tous Acteurs! Gemeinsam. Für Alle!
Dies bestätigte auch der deutsche Botschafter in Paris, Stephan Steinlein, der zur Eröffnung nach Nantes gekommen war und die Dichte der Beziehungen zwischen unserern Ländern als „einzigartig auf der Welt“ bezeichnete. „Ihr Engagement“, sagte er, „ist die Anti-These zu dem Wettlauf um Herrschaft,“ der zunehmend zu beobachten ist. Und die Diplomatische Beraterin des Regionalpräfekten des „Pays de la Loire“, Florence Mayol-Dupont, ergänzte, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit im Dienste europäischer Souveränität stehe. Auch der Vizepräsident der Region, Francois de Rugy, und der Vizepräsident der Metropol-Region Nantes, Yves Pascouau, waren zur Eröfnung des Kongresses erschienen.
Der Beitrag des zivilgesellschaftlichen Engagements für die weitere Entwicklung der deutsch-franazösischen Beziehungen wurde in vier Podiumsdiskussionen erörtert, jeweils von Journalisten kompetent moderiert. Den Anfang machte am Samstagvormittag die „table ronde“ zur Frage der Vision von Europa und was das Weimarer Dreieck dazu beitragen könne, also das deutsch-französisch-polnische Format, das ein wenig in den Hintergrund geraten war. Neben unserem VDFG-Vorstandsmitglied Dieter Hackmann, der auch Vorsitzender des „Weimarer-Dreieck-Vereins“ ist, erläuterten der Abgeordnete Frédéric Petit, der die Auslandsfranzosen in Mitteleuropa, incl. Deutschland und Polen, vertritt und auch in Polen residiert, der Leiter des „Büro II“ der deutschen Kulturbeauftragten für die bilaterale Kooperation, Dr. Deniz Alkan aus der Staatskanzlei des Saarlandes, sowie Paul Maurice, der Deutschland-Experte des Pariser Instituts für Auslandsbeziehungen (IFRI) die Initiativen und Beiträge, die die vielen Vereine und Forschenden zur Entwicklung von Visionen für Europa leisten. Davon leben auch politische Entscheidungsträger, die, wie der Abgeordnete Petit, auf gut vorbereitete Anstöße aus der Zivilgesellschaft angewiesen sind, wenn sie deren Anliegen zu politischer Wirksamkeit verhelfen wollen.
Das zwischen Deutschland und Frankreich durchaus umstrittene Thema „Die Industrie und europäische Energiesouveränität“ stand beim zweiten Podium des Tages zur Diskussion. Auch hier war der Abgeordnete Petit gefragt, aber auch Jessica Larsson, Leiterin des Büros der EU-Kommission in Paris – die Kommission ist ja die „Kompromissmaschine“ für eine gemeinsame Energiepolitik -, sowie Sven Rösner, Direktor des Deutsch-Französischen Büros für die Energiewende (OFATE), das den für Energie zuständigen Ministerien in Berlin und Paris untersteht, und Roland Marion, der zuständige Regionalrat für Fragen der „Dekarbonisierung“, sowie wieder Yves Pascouau. Während Deutschland aus der Produktion von Atomstrom komplett asugesteigen ist und dies auch von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen wird, enthält Frankreichs Strategie zur „Dekarbonisierung“ durchaus die Modernisierung seiner Atomkraftwerke. Im Rahmen der EU-Energiepolitik, die ja auch gemeinsame Regeln für Förderprograme enthält, kommt es also darauf an, dass vor allem Frankreich und Deutschland Wege zum Kompromiss suchen und finden, damit in Brüssel die notwendigen Entscheidungen getroffen werden können. Dabei sei man, so Jessica Larsson, auf gutem Weg. Das OFATE arbeitet an gemeinsamen Positionen. In Paris spricht man mehr davon, die Stromproduktion zu „dekarboniseren“ als offensiv die „énergie nucléaire“ zu propagieren – die nach wie vor großen Widerstand in einem Teil der deutschen Zivilgesellschaft erzeugt. Die rhetorische Abrüstung ist wohl auf gutem Weg.
Am Samstagnachmittag ging es um ein Thema, bei dem unumstritten ist, dass eine europäische Lösung dringend und dafür deutsch-französische Kooperation nötig ist, bei dem aber noch viele Fragen offen sind, auch ethische: Künstliche Intelligenz: Herausforerungen, Erfolge, Misserfolge, Ethik. Hier ging es um eine „Revolution“, die Fragen der europäischen Souveränität in der digitalen Welt betrifft. Dabei wurden Fragen der Entwicklung, aber auch der Kontrolle diskutiert, in die jeweils Fragen der Kultur „eingepackt“ sind. Prof. Dr. Philipp Slusallek, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Forschungszentrums für KI in Saarbrücken, bemängelte vor allem, dass die Zusammenarbeit mit Frankreich hier rein zufällig stattfinde, dass es in Deutschland keine Strategie zur Behandlung des Themas gebe, das „europäisch zu denken“ sei. Romain Forestier von der Joint European Disruptive Initiaitve sah sehr wohl eine Rolle für das „couple franco-allemand“, das einen überzeugenden Rahmen für dieses Thema bilden könne, weil sich beide Seiten sehr gut ergänzten. Dr. Hans-Joachim Popp, der im Rahmen der Bw-Consulting GmbH die Bundeswehrführung berät und auch dem Bundesverband der IT-Anwender vorsteht, bedauerte, dass Deutschland eine eindeutige Position zur Souveränität auf diesem Gebiet fehle, wie sie in Frankreich vorhanden sei. Europa müsse seine eigene Beurteilungsfähigkeit entwickeln und dürfe nicht einfach den Narrativen der US-Industrie folgen. Die größte Herausforderung sei psychologischer Natur. Bisher hätten die USA immer als Vorbild gedient. Jetzt müssten die Europäer selbst denken und eine eigene KI-Infrastruktur bauen und selbst nutzen, ihre eigenen Plattformen beherrschen. Dr. Slusallek nannte in diesem Zusammenhang drei Prioritäten: „Twin-AI“ = diese KI muss kausale Zusammenhänge verstehen und für die physische Welt nutzbar machen können; „Trans-AI“ = die KI muss sicher sein; „Sustainable AI“ = damit sollten kleine KI-Systeme geschaffen werden; dabei funktioniere die Zusammenarbeit mit Frankreich bereits gut, dies reiche aber nicht. Die Forschungszentren müssten dafür mehr Möglichkeiten zur Selbstverwaltung erhalten, um schneller reagieren zu können. „Europa ist gut in der Einzelforschung, aber schlecht in der Zusammenführung der Ergebnisse“, sagte Slusallek. Im Gegensatz zu den USA fehlten hier große finanzkräfte Firmen, deshalb sei Anschubfinanzhierung aus der öffentlichen Hand nötig. Hier tut sich also ein großes Feld zu zukunftsträchtiger Kooperation auf.
Schliesslich widmete sich am Samstagabend eine „table ronde“ auch noch einer Bilanz des Aachener Vertrags, der ja eine Vielzahl von Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Engagements enthält. Per Video zugeschaltet war die Elsässer Abgeordnete Brigitte Klinkert, die Co-Vorsitzende des Vorstands der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung (DFPV) ist, einer ebenso einzigartigen Institution zur parlamentarischen Kontrolle der Zusammenarbeit. Auf dem Podium saß dann Sibylle Thillaye, als Deutsche geboren, jetzt ebenfalls Abgeordnete in der französischen Nationalversammlung und Mitinitiatorin der DFPV, die zeitgleich mit dem Aachener Vertrag geschaffen wurde. Ausserdem berichteten Benjamin Kurc, Leiter des (von der VDFG vorgeschlagenen) Deutsch-Französischen Bürgerfonds, Benjamin Sibille, Gründer des „Service Civique Européen“ und Bertrand Loubette, Kommandant der Brigade für grenzhüberschreitende und europäische Zusammenarbeit der Gendarmerie Nationale über ihre vielfältigen Erfahrungen, die sich aus den verschiedenen Aktivitiäten speisen, für die der Aachener Vertrag den Weg geebnet hat.
Der Kongress endete am Sonntagmorgen mit einer „table ronde“ über die Frage, „wie die Zivilgesellschaft politisches Handeln anregen kann.“ Eine Art Bilanz der Diskussionen. Also: Was heißt: Tous Acteurs? J.M. Prats erklärte die Rolle der FAFA, mahnte aber vor allem, dass ihre Aktivitäten unter einem Mangel an Geld litten. Philippe Voiry, Botschafter für grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Quai d’Orsay, betonte, dass an der Grenze „das Konkrete“ stattfinde, wo man über tatsächliche Probleme reden und nach Lösungen suchen könne, man sich aber am besten an die jeweiligen Abgeordneten wende, um Veränderungen zu erreichen. Robert Soltyk, der Sprecher des Büros der EU-Kommission in Paris, kritiserte, dass die wieder eingeführten Grenzkontrollen zu einer spürbaren Verringerung der grenzüberschreitenden Aktivitäten der Bevölkerung geführt haben. Dabei, so Hervé Moritz vom Mouvement européen, biete gerade das Grenzgebiet Gelegenheit, Europa zu erfahren. Mit Sorge erwarteten die französischen Teilnehmer den Ausgang der Kommunalwahlen im März 2026; gerade in den Grenzgebieten schnitten die Extremisten (vor allem des Rassemblement National von Marine Le Pen) gut ab. Das könne dann Auswirkungen auf Städtepartnerschaften haben. Mut machten aber Beispiele von Partnerschaften, die weiterhin funktionierten, obwohl die parteipolitische Ausrichtung der Stadt- oder Gemeindeverwaltung sich hier oder da geändert habe. Es kommt also wirklich auf uns an, auf alle.
Der 70. Jahreskongress wird vom 16. bis 18.10. 2026 in Saarbrücken stattfinden. DP